Unterhalt für volljährige Kinder

Unterhalt für volljährige Kinder

Mit dem 18. Geburtstag ändert sich die Rechtslage beim Kindesunterhalt grundlegend. Während bei minderjährigen Kindern in der Regel ein Elternteil durch Betreuung und der andere durch Barunterhalt für den Unterhalt sorgt, werden mit der Volljährigkeit beide Elternteile barunterhaltspflichtig. Dieser Leitfaden erklärt die besonderen Regelungen für den Unterhalt volljähriger Kinder.

Grundlegende Änderungen bei Volljährigkeit

Barunterhaltspflicht beider Elternteile

Mit Eintritt der Volljährigkeit ändert sich die Art der Unterhaltsgewährung entscheidend:

  • Beide Eltern werden barunterhaltspflichtig
  • Der Betreuungsunterhalt entfällt
  • Die Unterhaltslast wird nach den Einkommensverhältnissen zwischen den Eltern aufgeteilt
  • Das volljährige Kind hat eigene Rechte und Pflichten im Unterhaltsverfahren

Rechtliche Grundlagen

Die Unterhaltspflicht für volljährige Kinder basiert auf:

  • § 1601 BGB: Allgemeine Unterhaltspflicht zwischen Verwandten
  • § 1603 BGB: Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen
  • § 1610 BGB: Maß des Unterhalts

Unterscheidung zwischen privilegierten und nicht-privilegierten volljährigen Kindern

Das Gesetz unterscheidet zwischen zwei Kategorien volljähriger Kinder:

Privilegierte volljährige Kinder (§ 1603 Abs. 2 S. 2 BGB)

Als privilegiert gelten volljährige Kinder, die:

  • Noch nicht 21 Jahre alt sind
  • Unverheiratet sind
  • Im Haushalt mindestens eines Elternteils leben
  • Sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden

Privilegierte volljährige Kinder genießen besondere Vorteile:

  • Sie stehen in der Rangfolge auf gleicher Stufe wie minderjährige Kinder
  • Der niedrigere Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gilt (1.450 €)
  • Höhere Erfolgsaussichten bei Mangelfällen

Nicht-privilegierte volljährige Kinder

Alle übrigen volljährigen Kinder gelten als nicht-privilegiert:

  • Kinder über 21 Jahre
  • Verheiratete Kinder
  • Kinder, die nicht mehr im Haushalt eines Elternteils leben
  • Kinder, die sich in Berufsausbildung oder Studium befinden

Für nicht-privilegierte volljährige Kinder gilt:

  • Nachrang gegenüber minderjährigen und privilegierten volljährigen Kindern
  • Höherer Selbstbehalt der Eltern (1.550 €)
  • Stärkere eigene Erwerbsobliegenheit

Voraussetzungen für den Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder

Der Anspruch auf Unterhalt besteht nicht automatisch, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen:

Bedürftigkeit des Kindes

Das volljährige Kind muss bedürftig sein, d.h. nicht in der Lage, sich selbst zu unterhalten:

  • Während einer angemessenen Erstausbildung wird Bedürftigkeit in der Regel angenommen
  • Bei Zweitausbildungen oder Studiengangwechseln gelten strengere Maßstäbe
  • Keine Bedürftigkeit bei ausreichendem eigenem Einkommen oder Vermögen

Angemessene Ausbildung

Der Unterhaltsanspruch besteht grundsätzlich während einer angemessenen Ausbildung:

  • Schulausbildung
  • Berufsausbildung
  • Studium (Erst-Studium)
  • Ggf. Aufbaustudiengänge oder Master, wenn sie eine sinnvolle Fortsetzung darstellen

Altersgrenze

Obwohl keine feste gesetzliche Obergrenze existiert, wird in der Praxis oft eine Orientierung an folgenden Richtwerten vorgenommen:

  • Regelstudienzeit plus 1-2 Semester
  • In der Regel nicht über das 25. Lebensjahr hinaus (Ausnahmen möglich)
  • Keine Unterhaltspflicht bei unangemessen langer Ausbildungsdauer ohne triftigen Grund

Berechnung des Unterhalts für volljährige Kinder

Bedarfsermittlung

Der Bedarf volljähriger Kinder wird wie folgt ermittelt:

  1. Ausgangspunkt: Düsseldorfer Tabelle, 4. Altersstufe
  2. Wohnsituation:
    • Bei den Eltern wohnend: Reduzierung des Bedarfs (in der Regel um ca. 30%)
    • Auswärts wohnend: Voller Tabellensatz plus angemessene Wohnkosten

Anrechnung eigener Einkünfte des Kindes

Eigene Einkünfte des volljährigen Kindes werden auf seinen Bedarf angerechnet:

Anrechenbare Einkünfte

  • Ausbildungsvergütung (abzüglich ausbildungsbedingter Kosten)
  • BAföG-Leistungen (nur der als Zuschuss gewährte Teil)
  • Stipendien (mit Ausnahmen)
  • Einkommen aus Nebentätigkeiten (über Freibetrag hinaus)
  • Kapitalerträge, Mieteinnahmen

Freibeträge

  • Ausbildungsbedingter Mehrbedarf: Pauschale von ca. 90 € monatlich
  • Nebenjob-Freibetrag: Oft 5-10% des Bedarfssatzes, mind. 150 €
  • Ferienjobs: Häufig ganz oder teilweise anrechnungsfrei

Aufteilung zwischen den Eltern

Nach Abzug der eigenen Einkünfte des Kindes wird der verbleibende Bedarf zwischen den Eltern aufgeteilt:

  1. Ermittlung der unterhaltsrelevanten Einkommen beider Eltern
  2. Berechnung der prozentualen Anteile am Gesamteinkommen
  3. Entsprechende Aufteilung des Unterhaltsbedarfs

Anrechnung des Kindergelds

Bei volljährigen Kindern wird das Kindergeld vollständig angerechnet:

  • Abzug vom ermittelten Gesamtbedarf vor der Verteilung auf die Eltern
  • Bei Zahlung an einen Elternteil: Anrechnung auf dessen Unterhaltsbeitrag

Beispielrechnung

Volljähriges Kind (19) im Studium, eigene Wohnung:

Bedarf nach Düsseldorfer Tabelle (4. Altersstufe): 860 €
+ Wohnkosten (Warmmiete): 450 €
= Gesamtbedarf: 1.310 €

Eigene Einkünfte:
- BAföG (Zuschussanteil): 400 €
- Nebenjob (nach Abzug Freibetrag): 150 €
= Verbleibender Bedarf: 760 €

Abzug Kindergeld: 250 €
= Aufzuteilender Restbedarf: 510 €

Einkommen Vater: 3.000 € (60%)
Einkommen Mutter: 2.000 € (40%)

Anteil Vater: 306 € (510 € × 60%)
Anteil Mutter: 204 € (510 € × 40%)

Besonderheiten bei Ausbildung und Studium

Erstausbildung

Während einer angemessenen Erstausbildung besteht grundsätzlich ein Unterhaltsanspruch:

  • Eltern müssen in der Regel die Kosten einer angemessenen Erstausbildung tragen
  • Die Ausbildung sollte den Fähigkeiten und Neigungen des Kindes entsprechen
  • Zumutbare Eigenleistungen des Kindes können erwartet werden

Ausbildungsplatzwahl und Studienortwahl

Die Wahl des Ausbildungsplatzes oder Studienortes steht dem Kind grundsätzlich frei:

  • Höhere Kosten durch die Wahl eines entfernten Studienortes müssen die Eltern grundsätzlich tragen
  • Bei finanziell eingeschränkten Verhältnissen kann jedoch eine kostengünstigere Alternative zumutbar sein
  • Wahl zwischen gleichwertigen Ausbildungsmöglichkeiten: kostengünstigere kann verlangt werden

Ausbildungswechsel und Zweitausbildung

Bei einem Wechsel der Ausbildung oder einer Zweitausbildung gelten strengere Regeln:

Ausbildungswechsel

  • Bei frühzeitiger Erkenntnis der "falschen" Ausbildungswahl: Unterhaltspflicht bleibt bestehen
  • Faustregel: Wechsel innerhalb der ersten 2-3 Semester eines Studiums oder im ersten Jahr einer Berufsausbildung
  • Voraussetzung: Ernsthaftes Bemühen in der ersten Ausbildung

Zweitausbildung

  • Grundsätzlich besteht keine Pflicht zur Finanzierung einer zweiten Ausbildung
  • Ausnahmen möglich, wenn:
    • Die Erstausbildung Teil eines einheitlichen Ausbildungsgangs ist (z.B. Bachelor + Master)
    • Die Erstausbildung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausgeübt werden kann
    • Die Erstausbildung keine ausreichende Lebensgrundlage bietet
    • Die Zweitausbildung aufgrund besonderer Begabung sinnvoll erscheint

Zwischen Schule und Ausbildung/Studium

Für Übergangszeiten gelten besondere Regeln:

  • Angemessene Überbrückungszeit: Unterhaltspflicht bleibt bestehen
  • Wartezeiten auf Studien- oder Ausbildungsplatz
  • Orientierungsjahr/Freiwilligendienst: Einzelfallentscheidung
  • Voraussetzung: Ernsthafte Bemühungen um Ausbildungs- oder Studienplatz

Obliegenheiten des volljährigen Kindes

Das volljährige Kind hat bestimmte Pflichten im Zusammenhang mit dem Unterhalt:

Auskunftspflicht

Das volljährige Kind muss beiden Elternteilen regelmäßig Auskunft erteilen über:

  • Ausbildungsstand und -verlauf
  • Einkünfte und Vermögen
  • Wohnsituation
  • Bezug von Sozialleistungen

Zügige Ausbildung

Es wird erwartet, dass das Kind die Ausbildung zügig absolviert:

  • Regelmäßige Teilnahme an Vorlesungen, Kursen, Prüfungen
  • Einhaltung der Regelstudienzeit (mit angemessenem Spielraum)
  • Nachweis des Ausbildungsfortschritts (Scheine, Zeugnisse)

Eigene Erwerbstätigkeit

Volljährige Kinder haben grundsätzlich eine Erwerbsobliegenheit:

  • Während der Ausbildung: In angemessenem Umfang (Nebenjobs)
  • In den Semesterferien/während ausbildungsfreier Zeiten
  • Nach Abschluss der Ausbildung: Vollzeiterwerbstätigkeit

Besondere Situationen und Fallkonstellationen

Wohnraum bei den Eltern

Wenn das volljährige Kind weiterhin bei einem Elternteil lebt:

  • Naturalunterhalt dieses Elternteils (Unterkunft, Verpflegung)
  • Barunterhalt des anderen Elternteils
  • Anrechnung des Wohnvorteils auf den Bedarf

Unterhalt bei abgebrochenem Kontakt

Die Unterhaltspflicht besteht grundsätzlich unabhängig vom persönlichen Verhältnis:

  • Auch bei Kontaktabbruch oder Konflikten bleibt die Unterhaltspflicht bestehen
  • Nur in extremen Ausnahmefällen kann eine Verwirkung eintreten (§ 1611 BGB)

Unterhalt nach Heirat des Kindes

Mit der Heirat ändert sich die Unterhaltssituation:

  • Vorrangige Unterhaltspflicht des Ehegatten (§ 1608 BGB)
  • Elterliche Unterhaltspflicht wird nachrangig
  • Nachrangiger Anspruch bei Leistungsunfähigkeit des Ehegatten möglich

Unterhalt nach eigener Elternschaft des Kindes

Wenn das volljährige Kind selbst ein Kind bekommt:

  • Grundsätzlich bleibt der Unterhaltsanspruch bestehen
  • Betreuung des eigenen Kindes kann Ausbildungsunterbrechung rechtfertigen
  • Möglicher Anspruch auf Elternunterhalt wegen Kindesbetreuung

BAföG und Unterhalt

Das Verhältnis zwischen BAföG und Unterhalt ist komplex:

Wechselwirkung BAföG und Unterhalt

  • BAföG-Anspruch ist vorrangig zu prüfen und zu beantragen
  • Elterneinkommen wird bei der BAföG-Berechnung berücksichtigt
  • Als Darlehen gewährter BAföG-Anteil mindert den Unterhaltsbedarf nicht

Vorläufige Gewährung von BAföG

Bei Verweigerung von Unterhalt oder Auskunft durch die Eltern:

  • Möglichkeit der vorläufigen BAföG-Gewährung
  • Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Staat
  • Staatliche Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs gegen die Eltern

Auswirkung von BAföG auf den Unterhaltsanspruch

  • Zuschussanteil des BAföG: Wird voll auf den Unterhaltsbedarf angerechnet
  • Darlehensanteil des BAföG: Wird nicht auf den Unterhaltsbedarf angerechnet
  • Bei vollem BAföG-Anspruch kann der Unterhaltsbedarf gedeckt sein

Steuerliche Aspekte

Kindergeld und Kinderfreibetrag

Für volljährige Kinder bis 25 Jahre in Ausbildung:

  • Anspruch auf Kindergeld (aktuell 250 € monatlich)
  • Alternativ: Kinderfreibetrag bei der Einkommensteuer (Günstigerprüfung)
  • Anspruchsberechtigt ist primär der Elternteil, bei dem das Kind lebt

Absetzbarkeit von Unterhaltsleistungen

Unter bestimmten Voraussetzungen können Unterhaltsleistungen steuerlich geltend gemacht werden:

  • Sonderausgabenabzug bei Übertragung des Kindergeldanspruchs
  • Außergewöhnliche Belastungen bei volljährigen Kindern ohne Kindergeldanspruch

Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs

Besonderheiten bei volljährigen Kindern

Das volljährige Kind muss seinen Unterhaltsanspruch selbst durchsetzen:

  • Eigenständiges Auftreten im Unterhaltsverfahren
  • Eigene Antragstellung (nicht mehr über das Jugendamt)
  • Aktive Mitwirkungspflichten (Auskünfte, Nachweise)

Vorgehen bei Unterhaltsverweigerung

Bei Verweigerung des Unterhalts:

  1. Aufforderung zur Auskunft über die Einkommensverhältnisse
  2. Außergerichtliche Zahlungsaufforderung
  3. Gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs

Verfahrensarten

Für die gerichtliche Durchsetzung gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Vereinfachtes Unterhaltsverfahren (nur bei minderjährigen und privilegierten volljährigen Kindern)
  • Reguläres Unterhaltsverfahren vor dem Familiengericht
  • Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs

Häufige Fragen zum Unterhalt für volljährige Kinder

Wie lange besteht der Unterhaltsanspruch?

  • Grundsätzlich bis zum Abschluss einer angemessenen Berufsausbildung
  • Keine feste Altersgrenze, aber in der Regel nicht über das 25. Lebensjahr hinaus
  • Bei Verzögerungen: Prüfung, ob diese vom Kind zu vertreten sind oder aus triftigen Gründen entstanden

Muss das Kind nebenbei arbeiten?

  • Während der Vorlesungszeit: Teilzeitbeschäftigung im angemessenen Umfang (ca. 10 Stunden/Woche)
  • In den Semesterferien: Umfangreichere Tätigkeit zumutbar
  • Bei besonderen Studienanforderungen (z.B. Examensphase): Verringerte Erwerbsobliegenheit

Was passiert bei einem Studienwechsel?

  • Frühzeitiger Wechsel (erste 2-3 Semester): Unterhaltspflicht bleibt in der Regel bestehen
  • Später Wechsel: Einzelfallprüfung, ob triftige Gründe vorliegen
  • Bei fehlendem Grund: Ende der Unterhaltspflicht oder verkürzte Unterhaltsdauer

Wie wirkt sich eine eigene Wohnung auf den Unterhalt aus?

  • Grundsätzliches Wahlrecht des Kindes zwischen Wohnen bei den Eltern oder eigener Wohnung
  • Bei eigener Wohnung: Höherer Unterhaltsbedarf durch Wohnkosten
  • Bei eingeschränkten finanziellen Verhältnissen: Mögliche Zumutbarkeit des Wohnens bei den Eltern

Praktische Tipps

Für volljährige Kinder

  • Rechtzeitige und offene Kommunikation mit beiden Elternteilen
  • Regelmäßige Auskunft über den Ausbildungsverlauf
  • Dokumentation von Ausbildungsfortschritten
  • Nachweis über eigene Anstrengungen (Bewerbungen, Nebenjobs)
  • Einfordern des Unterhalts von beiden Elternteilen

Für Eltern

  • Klare Absprachen über die Unterhaltshöhe und -dauer
  • Regelmäßige Überprüfung der Ausbildungssituation
  • Bei getrennten Eltern: Koordination und transparente Kommunikation
  • Beachtung steuerlicher Aspekte (Kindergeld, Freibeträge)
  • Bei unklarer Situation: Rechtliche Beratung einholen

Fazit und Ausblick

Der Unterhalt für volljährige Kinder stellt eine wichtige finanzielle Unterstützung während der Ausbildungsphase dar. Anders als bei minderjährigen Kindern sind jedoch beide Elternteile barunterhaltspflichtig, und das Kind hat eigene Rechte und Pflichten. Der Anspruch ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft und erfordert eine zügige und zielstrebige Ausbildung.

Die Höhe des Unterhalts hängt von vielen individuellen Faktoren ab, wie dem Einkommen der Eltern, der Wohnsituation des Kindes und seinen eigenen Einkünften. In komplexen Fällen – etwa bei Ausbildungswechseln, Zweitausbildungen oder internationalen Sachverhalten – kann eine juristische Beratung sinnvoll sein.

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